Die Vergangenheit: Ein Leben unter Stress
Als Herr K. (42, Name aus Gründen des Schutzes geändert) in unsere Fachstelle für Täterarbeit kam, hatte die Gewalt in seinem Leben bereits tiefe Spuren hinterlassen. Er war ein Mann mittleren Alters, der nach einem Vorfall häuslicher Gewalt bei uns landete. Sein Zuhause war lange Zeit kein sicherer Ort: Er hatte seine Ehefrau geschlagen und ist in Konflikten häufig laut und einschüchternd aufgetreten. Am schlimmsten war, dass seine Kinder die Gewalt oft direkt miterlebten.
Herr K. stand unter erheblichem inneren Stress und war emotional nur schwer zugänglich. Was die Situation zusätzlich blockierte, war seine Haltung: Zu Beginn der Arbeit zeigte er sich wenig einsichtig. Die Verantwortung für die ständigen Konflikte sah er vor allem bei seiner Frau. Die Kinder erwähnte er kaum in den ersten Gesprächen. Die Notwendigkeit, sein eigenes Handeln zu hinterfragen, war noch nicht in seinem Bewusstsein angekommen.
Schritt für Schritt: Vom Ernstnehmen zur Verantwortung
Die Diakonie Rosenheim steht für eine werte- und wirkungsorientierte Soziale Arbeit. Unsere grundlegende Haltung ist, dass die Würde eines jeden Menschen geschützt werden muss und jeder Mensch „mehr ist, als man zur Zeit von ihm sehen kann“. Gerade in der Täter*innenarbeit bedeutet dies, den Menschen hinter der Tat zu erkennen und kennenzulernen. Wir verurteilen die Tat, nicht den Menschen dahinter.
Der intensive Prozess begann nicht mit Vorwürfen, sondern mit dem Aufbau einer respektvollen Beziehung. Nur durch das Ernstnehmen seiner gesamten Lebenssituation konnte Herr K. das Angebot überhaupt annehmen. So konnte er auch mit seiner Tat konfrontiert werden. Die Scham ist der Verantwortung gewichen Die Gespräche halfen ihm dabei, die Konsequenzen seiner Taten zu verstehen.
Die Veränderung: Die Gewalt gehört zur Geschichte, nicht zur Zukunft
Mit der Zeit begann die Wirkung unserer wertegeleiteten Arbeit sichtbar zu werden. Die inneren „Soft Outcomes“ (Veränderungen in der Einstellung und im Verhalten) von Herrn K. waren die entscheidenden Schritte:
- Veränderung des Bewusstseins: Herr K. hörte auf, seine Frau für die Konflikte verantwortlich zu machen. Er lernte, sich selbst besser zu verstehen und seine Verantwortung anzuerkennen. Die Gewalt war nun nicht vergessen, aber sie wurde nicht mehr verdrängt. Herr K. akzeptierte, dass die Gewalt nun Teil seiner Geschichte, aber nicht mehr seiner Zukunft sein sollte.
- Veränderung des Verhaltens: Die neue Einsicht führte zu spürbarem Handeln. Herr K. lernte den Wert von Verantwortungsübernahme. Er entschuldigte sich bei seiner Frau– nicht aus Zwang oder Pflichtgefühl, sondern mit dem ehrlichen Wunsch, etwas wiedergutzumachen. Er selbst berichtete, dass er gelernt habe, zuzuhören und seiner Gefühle und Bedürfnisse seiner Frau gegenüber zu äußern.
Der Neue Anfang: Ein verändertes Familienklima
Die wichtigste Wirkung war die tiefgreifende Veränderung im Leben von Herrn K. und seiner Familie. Das Ergebnis des intensiven Prozesses war nicht nur seine persönliche Entwicklung, sondern auch ein neues, besseres Familienklima.
Seine Frau berichtete, dass sie sich nun sicherer fühle. Die Kinder, die die Gewalt zuvor direkt miterlebt hatten, waren entspannter, und es gab weniger Streit zu Hause.
Die Arbeit ermöglichte Herrn K. die Übernahme von Verantwortung und die Entwicklung alternativer Handlungsmöglichkeiten. Dieser Fall belegt, dass werteorientierte Arbeit, die auf der Würde des Menschen basiert, direkt zur Wirksamkeit unserer Arbeit beiträgt. Somit stärkt Täter*innenarbeit auch gesellschaftlichen Zusammenhalt und unsere Sicherheit.