Werte- und wirkungsorientierte Soziale Arbeit in Oberbayern

Das Diakonische Werk des Evang.-Luth. Dekanatsbezirks Rosenheim e. V. steht seit fünf Jahrzehnten für eine werte- und wirkungsorientierte Soziale Arbeit in ganz Oberbayern und Teilen von Niederbayern – von Traunstein im Osten, Fürstenfeldbruck im Westen, Kiefersfelden im Süden bis Landshut im Norden. Schwerpunkte unseres Wirkens sind Rosenheim, Ebersberg, München und Miesbach. Aus dieser Tradition heraus helfen rund 2.600 Mitarbeitende Einzelnen, Familien, Gruppen und dem Gemeinwesen, soziale Probleme zu lösen, zu lindern oder gar nicht erst entstehen zu lassen.

Unser Wirken basiert auf der Würde des Menschen, den Werten Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Toleranz und Akzeptanz, Vielfalt, Gerechtigkeit, Rechtstreue und Nachhaltigkeit und auf den berufsethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit. Wir erbringen effektive und effiziente Hilfen, die dem individuellen Bedarf entsprechen und wirksam sind. Alle Angebote basieren auf dem Grundsatz, dass soziale Probleme identifiziert, die Zielgruppe bestimmt, Ziele definiert, Leistungen beschrieben, Ressourcen benannt und Wirkungen evaluiert werden.

Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen ohne soziale Not leben können, dass ihre Menschenwürde und -rechte geachtet werden und ein soziales Zusammenleben im Gemeinwesen gelingt. Unter dem Dach der Jugendhilfe Oberbayern engagieren wir uns u. a. in der Kindertagesbetreuung, Ganztagsbetreuung an Schulen, Jugend(sozial)arbeit, Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe und (vorläufigen) Inobhutnahme. Die Sozialen Dienste Oberbayern halten u. a. zahlreiche Angebote in der Alten-, Wohnungslosen-, Arbeitslosen-, Straffälligen-, Flüchtlings- und Eingliederungshilfe für Erwachsene vor.

Die Diakonie Rosenheim ist eine agile, responsive und proaktive Organisation mit einem selektiven Wachstumskurs, mit der sich die Mitarbeitenden identifizieren. In Kooperation mit anderen erbringen wir eine bestmögliche Qualität unter den gegebenen Voraussetzungen. Wir nutzen die Chancen der Digitalisierung und betreiben Lobbyarbeit für sozial benachteiligte oder beeinträchtigte Menschen. 

Werte

Jeder Mensch hat eine Würde. Er ist wertvoll, weil er Mensch ist, unabhängig von seinen Leistungen oder Fehlleistungen. „Die Anerkennung der Würde jedes Menschen und die daraus folgende Gleichheit der Verschiedenen sind in der Neuzeit zu zentralen ethischen Prinzipien geworden. Sie haben sich nicht nur dank philosophischer oder theologischer Einsichten durchgesetzt, sondern die Anerkennung dieser Prinzipien ist das Ergebnis komplexer Wertbildungsprozesse.“[i] Die Menschenwürde lässt sich aus unterschiedlichen Haltungen und Einstellungen heraus als Wert anerkennen, wie z. B. aus dem Christentum[ii], aus dem Islam[iii] oder aus dem Humanismus[iv]. In der politischen Praxis wird sie mittels einzelner Menschen- und Grundrechte (z. B. in Art. 1 Abs. 1 GG: Die Würde des Menschen ist unantastbar) konkretisiert.[v] „Die Anerkennung der Menschenwürde aller Menschen ist eine Grundvoraussetzung für eine universale humane Ethik.“[vi] Auf diese Grundvoraussetzung beziehen wir uns in unserem Handeln. Wir stellen uns den individuellen, sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen, indem wir uns aktiv in den Werteprozess einbringen. Wir begegnen unseren Mitmenschen mit Nächstenliebe, Achtung und Respekt vor ihrer Würde. Wir setzen uns für Menschen ein, die dies für sich nicht tun können.[vii]

Ein weiterer Wert, der unser Handeln leitet, ist die Barmherzigkeit. Der Begriff stammt aus dem Althochdeutschen – „armherzi“ bedeutet, „ein Herz für die Armen zu haben“. Er nimmt bereits im frühen Christentum[viii] und anderen abendländischen Buchreligionen[ix] eine zentrale Stellung ein. Auch der Humanismus sieht Barmherzigkeit als Folge der Würde des Menschen – in dieser Tradition lässt sich auch die Gewährleistung des Existenzminimums über Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) herleiten.[x] Barmherzigkeit ist damit aktiv handelnde Empathie, kein bloßes Mitgefühl, sondern in die Tat umgesetzte Humanität. Barmherzigkeit wertet nicht, sie hilft dort, wo Not und Leid auftreten – dies ist eine unserer zentralen Maximen.

Die Diakonie ist der soziale Dienst der evangelischen Kirche und gelebte Nächstenliebe. Nächstenliebe mit allem, was zu ihr gehört, ist unser Auftrag. Der Mensch steht im Mittelpunkt unserer Arbeit – „Jede Arbeit soll zuerst mit dem Herzen, dann mit den Händen oder mit der Zunge geschehen“ (Johann Hinrich Wichern). Nächstenliebe zeigt sich in Hilfeleistungen, die grundsätzlich bedingungslos und ohne Erwartung einer Gegenleistung erbracht werden. Sie ist die Grundlage der Barmherzigkeit, durch sie wird der Mitmensch, der Nächste, in seiner Würde bejaht. Soziale Verantwortung basiert darauf, dass ein Mensch für einen anderen einsteht. In den großen Religionen[xi] sowie im Humanismus[xii] wird auf Nächstenliebe ausführlich eingegangen, im deutschen Gesetz findet sie sich indirekt wieder.[xiii] Durch tätige Nächstenliebe wollen wir materielle, seelische und geistige Not lindern. Uns eint die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und die Verantwortung für das Wohl der Menschen. Dabei gilt jungen Menschen, Familien, Benachteiligten, Beeinträchtigten und Alten unsere besondere Aufmerksamkeit.

Toleranz und Akzeptanz gehen mit der Würde und Einzigartigkeit des einzelnen Menschen einher und sind für uns untrennbar mit „Vielfalt“ verbunden. Sie bedeuten die Annahme des Nächsten, wie er ist. In den Religionen[xiv] und insbesondere im Humanismus folgen Toleranz und Akzeptanz aus der Anerkennung der Unterschiedlichkeit der Menschen und werden zur Grundlage gesellschaftlichen Zusammenlebens gemacht.[xv] Dieser Gedanke fand auch in das Grundgesetz Einzug: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ (Art. 2 Abs. 1 GG).

Vielfalt (Diversität) ist eng mit den Werten der Toleranz und Akzeptanz verflochten – den Mitmenschen so anzunehmen, wie er ist. Schon durch den Wert der Nächstenliebe sehen wir uns der Achtung der Vielfalt verpflichtet. Vielfalt und Toleranz, wie wir sie heute verstehen, sind das Ergebnis eines langen und andauernden Werteprozesses. Sie lassen sich durch das theologische Konzept eines „positionellen Pluralismus“ (Härle)[xvi] ebenso begründen wie durch humanistische Grundsätze und gesetzliche Normierungen.[xvii] Diversität fokussiert auf individuelle, soziale und strukturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Individuen und Gruppen. Häufig wird dabei an die sofort wahrnehmbaren Merkmale gedacht: Geschlecht, Alter, Hautfarbe, ethnische Herkunft, sichtbare Behinderungen. Auch auf den ersten Blick nicht sichtbare Merkmale, wie sexuelle Identität, Religionszugehörigkeit, Bildung, soziale Herkunft, Finanzlage, Familienstand usw., zeichnen Menschen in ihrer Individualität aus. Wir treten Menschen ungeachtet ihrer wahrnehmbaren oder nicht sofort wahrnehmbaren Merkmale wertschätzend gegenüber und bieten allen Menschen unsere Hilfe und Unterstützung an. Auch als Arbeitgeber sehen wir Vielfalt als wichtigen Wert: Wir möchten mit unseren Mitarbeitenden ein Spiegel der Gesellschaft sein und damit Diversität abbilden und leben. Unser Handeln ist von der Überzeugung getragen, dass Diversität eine die Gesellschaft bereichernde Wirklichkeit ist.

Weiterhin ist Gerechtigkeit ein Wert, den wir zur Grundlage unseres Handelns machen. Wenn alle Menschen gleich sind, dann stehen ihnen auch die gleichen Rechte und Pflichten zu und sie sollten diese in gleichem und gerechtem Maße wahrnehmen können. Insbesondere für das Leben in der Gemeinschaft sind Gerechtigkeit und ihre Ausübung unverzichtbar. Dabei ist die Diskussion darüber, was Gerechtigkeit ist und wann sie erreicht ist, bis heute nicht abgeschlossen.[xviii] Aufgrund unseres sozialen Auftrags steht für uns die soziale Gerechtigkeit im Vordergrund. Sie wurde in den Religionen immer wieder gefordert[xix] und insbesondere vor dem Hintergrund der Industrialisierung von der Sozialphilosophie des 19. und 20. Jahrhunderts thematisiert.[xx] Gleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen sind im Grundgesetz in Art. 3 Abs. 1 und 2 festgeschrieben sowie über das Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 GG garantiert. Wir sehen in Gerechtigkeit nicht nur die Verfahrensgerechtigkeit, also die Einhaltung anerkannter Regeln und Gesetze ohne Ansehen der Person. Gerechtigkeit geht unserem Verständnis nach über die Gleichberechtigung hinaus und setzt an der Einzigartigkeit des Individuums und seinen individuellen Bedürfnissen und Wünschen an. Somit ist die Frage der Gerechtigkeit auch eng mit der Frage der sozialen Teilhabe und der gerechten Ausgestaltung der Gesellschaft verbunden (Erziehung und Bildung, Wohnraum, Integration etc.).

Regeln geben Sicherheit und ihre verbindliche Einhaltung sorgt für Gerechtigkeit. Um Gerechtigkeit zu erreichen und zu erhalten, ist Rechtstreue unabdingbar. Lange Zeit wurde gesellschaftliches Recht auch von den Religionen gesetzt.[xxi] Als Diakonie sind wir den staatlichen Gesetzen und kirchenrechtlichen Regelungen verpflichtet. Wir achten und befolgen geltende Gesetze im eigenen Handeln, fordern deren Einhaltung und wirken auf diese hin. Neben den maßgeblichen Werten und gesetzlichen Normen geben wir uns auch eigene Richtlinien (z. B. das Schutzkonzept für Kindertagesstätten oder stationäre Einrichtungen) und Verhaltensregeln (z. B. Führungsgrundsätze, die trägereigene Verhaltensampel für junge Menschen, Erwachsene und Mitarbeitende), die zu einem guten und gerechten Miteinander beitragen sollen und deren Einhaltung wir regelmäßig überprüfen.

Ferner ist Nachhaltigkeit ein Wert, an dem sich unser Handeln ausrichtet. Dem Einzelnen gegenüber ist sie ein weiterer Ausdruck von Nächstenliebe, nämlich indem unsere Hilfen und Angebote so gestaltet und durchgeführt werden, dass sie wirksam sind und soziale Not möglichst beständig beheben. Der Gesellschaft und der Natur gegenüber fühlen wir uns durch unsere christliche Verwurzelung verantwortlich: Der Mensch ist nicht Herrscher, sondern Teil der Natur;[xxii] aus seiner Vernunftfähigkeit erwächst ihm die Verantwortung, sie zu wahren und durch sein Verhalten nicht zu schädigen.

Viele dieser Werte haben auch die Entwicklung der Sozialen Arbeit beeinflusst und zur Ausprägung von berufsethischen Prinzipien geführt. Diese Prinzipien prägen unser Selbstverständnis. Wir verpflichten uns den obersten Prinzipien Sozialer Arbeit (Autonomie der/des Klientin/Klienten, Wohlwollen, keinen Schaden zufügen, Solidarität, Gerechtigkeit, Wirksamkeit), wie sie der DBSH beschrieben hat.[xxiii]. Wir wahren und verteidigen die körperliche, psychische, emotionale, kognitive, kulturelle und spirituelle Integrität und das Wohlergehen einer jeden Person. Neben dem Wissen um die allgemeinen Grundsätze beruflichen Handelns und den Kompetenzen des Handelns im eigenen beruflichen Arbeitsfeld spielt insbesondere auch das Handeln gegenüber Berufskolleginnen und -kollegen, Angehörigen anderer Professionen, Arbeitgebern und Organisationen sowie der Öffentlichkeit eine wichtige Rolle. Wir fördern und fordern das Wissen um diese berufsethischen Prinzipien und deren Einhaltung.

Wirkung

Aus unseren Werten und den berufsethischen Prinzipien ergibt sich der Auftrag, unsere Hilfen und Angebote wirkungsorientiert zu erbringen. Das Individuum hat aufgrund seiner Menschenwürde einen Anspruch darauf, in seiner Not ernst genommen zu werden und effektive und effiziente Hilfen zu erhalten; der Gesellschaft gegenüber sehen wir uns verpflichtet, auch im Sinne der Nachhaltigkeit nur solche Hilfen zu erbringen, die nachweislich notwendig und geeignet sind, soziale Not zu beheben, und die dafür zur Verfügung gestellten Ressourcen möglichst effizient aufzuwenden. Daher konzipieren wir unsere Hilfen und Angebote anhand der Wirkungskette (Input-Output-Outcome-Impact[xxiv]), wir überprüfen regelmäßig deren Wirksamkeit und passen sie gegebenenfalls an. Selbstverständlich berichten wir den Einzelnen und der Gesellschaft transparent über unsere Hilfen und deren Wirksamkeit und sehen es als Pflicht Sozialer Arbeit, ihr Handeln stets aufs Neue zu legitimieren, zur Diskussion zu stellen und weiterzuentwickeln.

Vision und Mission

Wir sind angetrieben von der Vision, dass Menschen ohne soziale Not leben können, dass ihre Menschenwürde und -rechte geachtet werden sowie dass das Gemeinwohl ein soziales Zusammenleben ermöglicht.

Unsere Mission besteht darin, Einzelnen, Familien und Gruppen durch eine werte- und wirkungsorientierte Soziale Arbeit dabei zu helfen, soziale Probleme zu überwinden oder zu lindern oder sie gar nicht erst entstehen zu lassen. Werte- und Wirkungsorientierung sind Kern unseres Handelns, sie begründen sich unmittelbar in unserem diakonischen Auftrag, unserem Verständnis von Humanität sowie unserer Berufsethik.

Strategie

Die Diakonie Rosenheim ist werte- und wirkungsorientiert und fördert das Commitment der Mitarbeitenden zur Organisation. Wir verstehen uns als agile, responsive und proaktive Organisation und gestalten dementsprechend unsere Strukturen und Prozesse. Angepasst an die jeweiligen lokalen und regionalen Marktgegebenheiten verfolgen wir einen selektiven Wachstumskurs. Wir streben die bestmögliche Qualität unter den gegebenen Voraussetzungen an und schaffen Best-Practice-Modelle. Die Chancen der Digitalisierung nutzen wir für schlankere, effizientere und anschlussfähigere Prozesse und ermöglichen auch Betroffenen digitale Zugänge zu unseren Leistungen. Kooperation bildet für uns lokal und überregional einen wichtigen Baustein zur Gestaltung wirkungsvoller Leistungen und eines fördernden Sozialwesens. Durch Lobbyarbeit machen wir auf uns als Diakonie aufmerksam und setzen uns für die Rechte von Betroffenen ein.

Bad Aibling, den 30.11.2021

Dr. Andreas Dexheimer, Vorstand

[i] Wolfgang Huber (2013): Ethik. Die Grundfragen unseres Lebens. C. H. Beck 2013, S. 60.

[ii] Im Christentum begründet sich die unantastbare Würde des Menschen durch seine Ebenbildlichkeit mit dem Schöpfer: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn“ (Gen 1,27).

[iii] Im Islam ist Würde unabhängig von Besitz und gesellschaftlichem Rang. Niemand darf respektlos behandelt werden, auch nicht Schwache, die auf Unterstützung angewiesen sind, vgl. Koran 2/263f.

[iv] Im Humanismus ist die Würde des Menschen (dignitas hominis) der zentrale Wert. Die Vernunft(Fähigkeit) unterscheidet den Menschen von den Tieren und macht dadurch alle Menschen gleich. Die Menschen unterscheiden sich aber untereinander körperlich und geistig, sie haben individuelle Besonderheiten (proprietas). Schließlich besitzt jeder Mensch einen eigenen Willen und die Fähigkeit zu einem eigenen Urteil. „Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde“, Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. AA IV, S. 434.

[v] Vgl. Martin Honecker (1990): Einführung in die Theologische Ethik. De Gruyter, S. 193.

[vi] Honecker 1990: S. 193; Hervorhebung im Original.

[vii] „Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit und schaffe Recht dem Elenden und Armen.“ (Spr. 31,8-9).

[viii] Z. B.: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen“ (Matthäus 5,7) oder die Befähigung zur Barmherzigkeit durch die eigene erfahrene Befreiung durch Jesus Christus: „Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat“ (Brief an die Epheser 4, 32).

[ix] Im Islam zeigt sich Allah (u. a.) als schenkender, milder und gerechter Gott, der Barmherzigkeit zum Prinzip erhebt. „Euer Herr hat sich zur Barmherzigkeit verpflichtet. Wenn (demnach) einer von euch in Unwissenheit Böses tut und dann später umkehrt und sich bessert (findet er Gnade). Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben“ (Sure 6,54). Eine Äußerung der Barmherzigkeit, das Geben von Almosen, ist eine der fünf Säulen des Islam und damit eine der Hauptanforderungen an die Gläubigen.

[x] Seneca macht an der Barmherzigkeit und Menschliebe den Unterschied zwischen Mensch und Tier fest, Cicero sieht alle Menschen durch das selbe Naturgesetz gebunden und einander zur Fürsorge verpflichtet, vgl. Cicero: Vom pflichtgemäßen Handeln, Cic.off. 3,27,1-2.

[xi] Im Christentum lebt der Mensch aus der Erfahrung der Gottesliebe, die sich in seiner Lebenspraxis in der Nächstenliebe und der Liebe zu sich selbst äußert, vgl. Wilfried Härle (2000): Dogmatik. De Gruyter2, S. 516ff. Der Islam betont das Empfinden, einer weltumspannenden Gemeinschaft (umma) anzugehören, in der sich die Gläubigen untereinander als Brüder und Schwestern verstehen und begegnen sollen. Ein für den Islam zutreffenderes Wort für „Liebe“ ist das „Gutsein“, dem ein gottgefälliger mitmenschlicher Umgang zugrunde liegt.

[xii] Der Humanismus erhebt die Nächstenliebe aufgrund der Gleichheit aller Menschen zu einer der höchsten Tugenden, Cicero sieht sie naturalistisch begründet: „Wer aber sagt, auf Mitbürger müsse man zwar Rücksicht nehmen, nicht aber auf Fremde, der zerreißt das gemeinsame Band der Menschheit, womit er aber zugleich auch Wohltätigkeit, Freigebigkeit, Güte und Gerechtigkeit von Grund auf vernichtet.“, Cicero: Vom pflichtgemäßen Handeln, Cic.off. 3,27,2-28,3.

[xiii] Beispielsweise in der Bestrafung unterlassener Hilfeleistung und Behinderung hilfeleistender Personen, vgl. § 323c StGB.

[xiv] Jesus predigt, dass wir unseren Nächsten lieben sollen, wie uns selbst (Mt. 19, 19), und sogar unsere persönlichen Feinde sollen wir lieben (Mt. 5, 44). Siehe auch Römer 12, 14,17-21 sowie Markus 11,25-26 oder Paulus, Galater 3,28. Ein Muslim soll mit Andersglaubenden gütig umgehen und ihre Einstellungen respektieren: „Euch euer Glaube, mir mein Glaube“, Sure 109; Sure 6, vgl. auch Sure 49,13).

[xv] Cicero: Vom pflichtgemäßen Handeln, Cic.off. 3,30,2-3.

[xvi] „Toleranz gründet […] in einer unbedingten Wahrheitsgewissheit, mit der sich eine unbedingte Achtung für fremde Wahrheitsansprüche verbindet (Härle 2008: 104 ff.). In einem solchen ‚positionellen Pluralismus‘ wird der Mitmensch als Nächster geachtet und in seiner abweichenden Glaubensweise respektiert.“, Huber 2013: S. 222. Dies gelte nicht nur im Hinblick auf den Glauben, sondern auch auf andere Haltungen und Einstellungen, so dass gerade aus reformatorischer Sicht der Wert der Vielfalt bejaht werde. In Bezug auf den Glauben gründe „Toleranz […] nicht in religiöser Indifferenz, sondern in einer Glaubensüberzeugung“, ebd. 223.

[xvii] Zu den Prinzipien des Humanismus gehört, dass alle Menschen frei ihre Meinung vertreten können (Recht auf freie Meinungsäußerung, inkl. Religionskritik) und dass alle Menschen mitsamt ihren Meinungen akzeptiert werden. Die Gesellschaft soll gewaltfrei sein. Jeder soll die Freiheit haben, Entscheidungen nach seinem Gewissen zu treffen. Im deutschen Gesetz wird das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) festgelegt.

[xviii] Vgl. Honecker 1990: S. 189. Es gibt viele unterschiedliche Aspekte und Arten der Gerechtigkeit, wie z. B. die formale oder die korrigierende Gerechtigkeit, Gerechtigkeit im Sinne von Gleichheit, Gleichwertigkeit.

[xix] Im Christentum z. B.: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“ (Jes 58, 7). Der Islam sieht Gerechtigkeit als universales Gebot für alle Menschen: „Wenn ihr zwischen den Menschen richtet, dann sorgt dabei für Gerechtigkeit“ (Sure 4, 58).

[xx] Das Aufkommen der sozialen Frage im Rahmen der Industrialisierung fand insbesondere im Marxismus und der jungen Sozialdemokratie Widerhall, wirkte sich aber beispielsweise auch auf die Gerechtigkeitstheorie John Rawls aus.

[xxi] Die Zehn Gebote des Christentums (vgl. Mose 2, 19-23), die Vorschriften des Korans (z. B. zur Glaubensbefolgung, Nahrungsmitteln, Waschriten, vgl. Sure 47,19; 7,180; 62,9; 17,23; 17,32; 17,33; 24,2). Einen festen Kanon gibt es in der humanistischen Tradition nicht; seine vielfältigen Tugenden und Gebote richten sich an das Individuum, das nach ihrer aktiven Umsetzung streben und so den Wesenskern seiner Menschlichkeit zum Ausdruck bringen soll.

[xxii] Die Aufforderung „Seid fruchtbar und vermehret euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen“ (Gen 1,28) wird heute als Aufruf gelesen, sich der Natur gegenüber wie ein „guter Hirte“ zu verhalten. Der Koran sieht Maßhalten als Gebot: „Und handle nicht verschwenderisch.“, Sure 17,26.

[xxiii] DBSH Berufsethik 2015, S. 27. Link zu https://www.dbsh.de/media/dbsh-www/redaktionell/pdf/Sozialpolitik/DBSH-Berufsethik-2015-02-08.pdf

[xxiv] vgl. http://www.social-reporting-standard.de.

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